Orgontherapie 1.

Erfahrungen mit der Therapie nach Wilhelm Reich
in der Behandlung kranker Menschen.

Der folgende Artikel  ergänzt und erweitert den 1987 erschienenen persönlichen Erfahrungsbericht "Orgonakkumulatorbehandlung schwererkrankter Menschen", der in erweiterter Form unter dem Titel "Ein Beitrag zur Krebstheorie und Krebstherapie nach Wilhelm Reich" in zahlreichen Veröffentlichungen vorliegt.

In meiner nunmehr zehnjährigen, überwiegend täglichen Arbeit mit erkrankten Menschen, deren medizinische Diagnosen sich schwerpunktmäßig auf die Krankheitsbilder Leukämie, nicht kurable Schmerzzustände und Krebserkrankungen konzentrierten, geschahen manche Irritationen, tauchten neue Fragestellungen in Bezug auf das vegetotherapeutische  Behandlungsmodell und die tatsächlichen Wirkkräfte der energetischen Orgontherapie Dr. med. Wilhelm Reichs auf.

Als ich 1987 mit neunzehn an Krebs erkrankten Menschen die biophysikalische Orgontherapie, d.h. den Einsatz des Orgonakkumulators und des medical dor - busters zu erforschen begann, gab es bei einigen Patienten - insbesondere in den ersten vier Wochen der Akkumulatorbestrahlung - organismische Reaktionen, die eine Intervention mit der plasmatischen Pulsationsarbeit des späten Reich notwendig machten. In diesen Behandlungsstunden zeigten die über fünfzigjährigen schwerkranken Menschen vegetative Reaktionen, die ich bisher nur nach langer Arbeit an "Normalgesunden" beobachtet hatte: Sie zeigten weiche, ungebrochene Pulsationswellen, die in vielen neoreichianischen Richtungen als "Orgasmusreflex" bezeichnet werden.

Mit dem Auftauchen dieser Fließbewegungen nach wenigen orgonmedizinischen Behandlungen verschwand regelmässig die Blockierung gegenüber der Weiterführung der Akkumulatorbehandlung. Da ich diese Menschen unentgeltlich neben meiner Praxistätigkeit betreute, waren die Patienten und auch ich froh darüber, daß dieses Interventionsziel immer sehr schnell und ohne großen Behandlungsaufwand erreicht werden konnte. Der scheinbare Widerspruch, daß diese schwersterkrankten Menschen so unerwartet durchlässig erschienen und ein Fernziel der Behandlung anscheinend so schnell erreichen konnten, blieb mir jedoch immer verwunderlich. Auch Eva Reich, die zu dieser Zeit mehrere Monate in Berlin lebte, wußte keine Antwort, wies aber darauf hin, daß derartig hochdosierte ORAC - Behandlung noch nie durchgeführt worden war und diese organismischen Reaktionen möglicherweise hiermit im Zusammenhang stehen konnten. Endgültig irritierend wurden die gleichen Beobachtungen, als ich ab Anfang 1988 die ersten krebserkrankten Menschen mit der vegetativ - energetischen Pulsationsarbeit und dem ORAC kontinuierlich in Behandlung nahm. Alle Patienten, die beide Behandlungsverfahren erfuhren, leben zur Zeit der Niederschrift dieses Beitrages (1994) und diese Schrift soll einige Erfahrungsschritte vorläufig skizzieren, die wir gemeinsam durchquert haben.

Die publizierten Erfahrungen mit den auf der von Reich in den dreißiger Jahren in Skandinavien entwickelten Technik der Vegetotherapie abgeleiteten Verfahren der körperorientierten Psychotherapie (Bioenergetik, Radix, Core - Energetik) beruhten bis Mitte der achtziger Jahre auf Entladungstechniken (dischargework, s. die vorangegangenen Graphiken), oft unter Anwendung von sog. Streßpositionen mit gleichzeitiger vertiefter Atmung. Diese Art der Körperarbeit führte und führt auch heute zu beeindruckenden Ergebnissen, wenn der Behandelte unter reinen Überladungssymptomen leidet. Vibrationen und Faszikulationen der Gesichts- und Körpermuskulatur unter vertiefter Atmung und willkürlicher Muskelanspannung können chronisch angespannte segmentale Zonen im menschlichen Körper revitalisieren und in vielen Fällen blockierte Empfindungen wieder in das Bewußtsein des Erlebenden bringen. Behandelnde aller Richtungen bekamen aber auch immer wieder Patienten zu Gesicht, bei denen keine oder kaum organismische Reaktionen auftraten und für die diese Herangehensweise manchmal mit zeitweise auftretenden, in manchen Fällen auch bleibenden körperlichen Störungen einherging.

Andererseits gab es Patienten, die obwohl sie mit ernstzunehmenden charakterlichen oder psychosomatischen Problemen in eine Körpertherapie eintraten, bereits in den ersten Behandlungsstunden vegetative Reaktionen aufwiesen, die dem bisher verbreiteten Bild des freien Flusses der körpereigenen Energie entsprechend reagierten. Viele Therapeuten verdrängten nach anfänglicher Irritation über diese wiederkehrenden Phänomene die daraus resultierende Infragestellung des Behandlungsmodells der neoreichianischen Schulen und versicherten den Patienten, daß im Wesentlichen alles in Ordnung sei; Patient und Therapeut konnten sich damit sicher fühlen und so gemeinsam übersehen, daß außer der beruhigenden Introjektion des Gesundheitsmodells des Therapeuten durch den Patienten sich kein wesentlicher Prozeß eröffnete.

Anfang 1988 eröffnete sich mir durch die Erfahrung der Reaktionsformen bei an Krebs erkrankten Menschen im Zusammenhang mit diesem oben geschilderten Hintergrund eine grundlegend andere Verständnisebene, die ich im Weiteren ausführen werde.

Es wurde auffällig, das bei dieser von den Patienten ungewöhnlich mühelos empfundenen Arbeit zwar fließende organismische Reaktionsformen, aber keine korrelierten körperlichen Manifestationen eines sich langsam entwickelnden, selbstregulierenden Energiestroms auftraten. Keiner dieser Patienten bekam Hautausschläge, stark veränderte Ausscheidungsfunktionen, Sensationen im Bereich des Herzleitungssystem oder starke Veränderungen im Schlaf-/ Wachrhythmus, Phänomene die bei jeder hochenergetischen Behandlungsperiode die Regel bilden. Es schien, als ob der Organismus die intensivierte Ladung ohne Abwehr aufnehmen, tolerieren und durch autonome Reaktionsweisen innerhalb einer Behandlungsstunde wieder abführen konnte. Die an den von Reich beschriebenen Orgasmusreflex erinnernde Reaktionsweise konnte leicht und kontinuierlich hervorgerufen werden. Ich begann, Reichs Hauptwerke und seine späten Artikel neu zu lesen, da ich auch bei den mikrobiologischen Untersuchungen 1980 - 1984 auf viele Widersprüche zu den Beschreibungen Reichs gestoßen war, die sich oft durch ein wiedervertiefendes Lesen seiner Laborprotokolle nicht nur auflösten, sondern zu einem grundlegend tieferen Verständnis der Vorgänge z.B. im menschlichen Blut führten.  Ähnlich war es mir auch bei den ersten Versuchen mit dem Orgonakkumulator gegangen.

Zunächst las ich die beiden autobiographischen Bände "Die Entdeckung des Orgons", dann die dritte Auflage der "Charakteranalyse" insbesondere den Teil "Der Einbruch ins biologische Fundament", "Orgonomic Medicine" und "Core". Langsam bildete sich Reichs Erfahrungsweg in der Behandlung erkrankter Menschen hervor. In den zwanziger Jahren war das hydraulische Modell der gestörten oder verminderten Abfuhr von Erregungsspannungen im Organismus prägend für die meisten Lehrer Wilhelm Reichs, er selbst arbeitete mit der ersten Fassung von "Funktion des Orgasmus" (1927) eines der brillantesten Werke zu diesem Energiemodell aus.

Neurosen wurden grundsätzlich als Ausdruck verminderter oder gestörter Abfuhr libidonöser Spannungen angesehen -  Reich fand dies in seiner klinischen Arbeit als junger Analytiker in vollem Umfang bestätigt. Bis in sein Hauptwerk "Der Krebs" durchzieht das Problem der Unfähigkeit zur Entladung angestauter Energie seinen therapeutischen und naturwissenschaftlichen Forschungsweg, wird das Erreichen des Orgasmusreflexes als Wiederherstellung der vollen organismischen Gesundheit, der vegetativen Beweglichkeit dargestellt.

Und auch ich überlas bis 1988 einige Male die Textstelle, welche unvermittelt sein gesamtes bisheriges Modell gesunden Funktionierens in Frage stellt und die Ebenen der Energieausdrücke im Menschen erweitert und differenziert:

"Der klinische Vergleich der Krebsbiopathie mit der Gefäßhypertonie zwang dazu, eine grundsätzliche verschiedene Verarbeitung der der aufgestauten Sexualerregung im Biosystem anzunehmen: Bei der vaskulären Biopathie ( Angstneurosen infolge Abstinenz ) bleibt die Sexualerregung biologisch, physiologisch und emotionell dauernd lebendig. Mit anderen Worten, der biologische Kern des Organismus, der autonome Lebensapparat, produziert weiter Energie in vollem Ausmaße. Der Organismus reagiert dagegen im Kontraktionszustand mit Angst - oder Wutausbrüchen und mit körperlichen Symptomen wie mit Basedow oder Diarrhoe, etc. Beim Krebs dagegen gibt der biologische Kern in der Energieproduktion nach. Mit dieser Verminderung der Energieproduktion werden Emotionen und Erregungen mit der Zeit schwächer und schwächer. (...)   Die genaue Beobachtung ihres (der von Reich behandelten, an Krebs erkrankten Menschen, d.Verf.) Verhaltens widersprach der Annahme, daß es in der biologischen Tiefe verdrängte Affekte gab. Es gab auch in der Tiefe keine Affekte! Wir konnten überraschend leicht zum Orgasmusreflex vordringen, aber auch hier stießen wir auf Affektschwäche. Affekte sind Ausdruck bioenergetischer Zellerregung. Durchbricht man bei einem Stauungsneurotiker mit Herzangst die Atembremsung, so kommen unweigerlich und unmittelbar starke Erregungen durch. Nichts dergleichen war bei unserer Kranken zu sehen. Die Korrektur ihrer Atmung im Laufe von zwei Monaten brachte zwar  spontane vegetative Bewegungen, aber keine lebhaften Affekte. Da der Orgasmusreflex schwach war, hatten sie keine Angst davor, im Gegensatz zu einer Person mit Stauungsneurose, die in Verbindung damit schwere Angst erlebt. Diese Affektarmut reichte also tief ins biologische System."(Reich, "Der Krebs", S.221ff., Köln 1974).

Reichs Weg war bis dahin von der Sichtweise neurotischer Symptome als Überladungserkrankungen geprägt. Hiernun nach dem "Einbruch ins biologische Fundament" zeichnet sich für zahlreiche organische  Erkrankungen das Problem unzureichender Ladung (oder auch: unzureichender Ladungshaltekapazität) des Organismus ab. Sind die Peripherie und die mittlere energetische Schicht des menschlichen Organismus nicht in der Lage, durch Nahrungsaufnahme, Sonneneinstrahlung und atmosphärische Bedingungen aufgenommene Energien zu speichern und zu verkörpern, muß der biologische Kern diese Energie utilisieren und entladen. Die vom biologischen Kern zu entladenen Energien brechen sich an den anderen Schichten des Organismus und  führen in der Regel zu Symptomen als kompensatorische Mechanismen der Entladung der organismischen Energien. Ist diese Möglichkeit durch unzureichende Ladungshaltekapazitätz der körperlich - energetischen Strukturen nicht gegeben, so benutzt der biologische Kern den evolutionär primitivsten Weg der Ladungsabfuhr: den der Zellteilung zur Erniedrigung der zellulären Oberflächenspannung.

Unkontrollierte Zellteilung ist nach den biologischen Forschungen Reichs der letztmöglich zu benützende Weg der Entladung der körpereigenen Energien auf  der biologisch primitivsten Ebene.

Den Schwerpunkt der Behandlungen Reichs ab Beginn der vierziger Jahre bilden an Krebs erkrankte Menschen. An seinen Freund A.S. Neill schreibt er in dieser Zeit, daß er keine neurotischen Patienten mehr ertragen kann; die Forschung am Akkumulator und an neuen Möglichkeiten der Arbeit am biologischen Kern des Organismus binden sein Hauptinteresse. Die Durchlässigkeit der organismischen Peripherie, die Unfähigkeit, aufgrund der unzureichenden Haltefähigkeit von Ladungsvorgängen in Haut, Muskulatur und peripheren Geweben zu einem Ausgleich der Erregungsspannungen zwischen dem biologischen Kern und der organismischen Peripherie zu kommen, faszinieren ihn und erfordern grundlegend andersartige therapeutische Interventionen. Unter Charakter versteht Reich nun "die biophysikalische Reaktionsweise des Organismus" , Panzerung ist ein Ausdruck einer "plasmatischen Motilitätsstörung", einer "biopathischen Lähmung der Plasmaperipherie", von ihm behandelte Menschen nehmen "Stunden in vegetotherapeutischer Gymnastik" (Reich, "Der Krebs", S. 349-359). "Orgontherapie" wird der Oberbegriff der neuen, sich herausbildenden Behandlung, Arbeit am menschlichen Plasmasystem.

"Stellen wir uns nun die biologischen, physiologischen und seelische Funktionen plasmatisch - räumlich vor; wir haben einen weiten Kreis mit einem Zentrum ("Kern") vor uns. Das Einschrumpfen der Kreisperipherie entspräche dem  Einsetzen der charakterlichen und emotionellen Resignation. Der Kern, das Zentrum des Kreises, ist noch unberührt. Dieser Prozeß schreitet gegen das Zentrum zu fort, das den "biologischen Kern" darstellt. Der biologische Kern ist nichts anderes als die Summe aller plasmatischen Zellfunktionen. Hat der Schrumpfungsprozeß disen Kern erreicht, dann beginnt das Plasma selbst einzugehen. Dies fällt mit dem Prozeß des Gewichtsverlusts zusammen. Lange bevor es zu unmittelbaren Schädigungen der Plasmafunktion selbst kommt, sind aber die peripheren, physiologischen und charakterlichen Funktionen gestört: Kontaktfähigkeit im sozialen Verkehr, Lebensgenuß, Lustfähigkeit, Arbeitsfähigkeit, dann Pulsation und vegetative Erregung." (a.a.o., S.224)

Der Begriff der Anorgonie, gleichbedeutend mit Blockierung der Plasmamotilität, wird neben dem der Biopathie zu einem der bedeutendsten terminologischen Neuprägungen des therapeutischen Spätwerkes; die "Herabsetzung der totalen Energiefunktion des Organismus"(a.a.o., S.347), geht einher mit einem "wohl zu definierenden, bisher unbekannten Krankheitszustand des Organismus, den ich besonders ausgesprochen bei Krebskranken und zu Krebs neigenden  Menschen traf" (kursiv vom Verf.).

Reich publiziert nach der dritten Auflage der Charakteranalyse kein umfassendes Werk zum therapeutischen Ansatz mehr; die biophysikalische und orgonenergetische Forschung nimmt ihn mehr und mehr in Anspruch. Zahlreiche Hinweise finden sich jedoch in seinen vom "Orgone Energy Institute" herausgegebenen Publikationen. Am eindrucksvollsten erweisen sich jedoch die Tonbänder seiner Supervision und Ausbildung von Ärzten in orgonenergetischer Therapie in den fünfziger Jahren, von denen einige Abschriften seit Beginn der siebziger Jahre von der Treuhänderin Mary Boyd Higgins in dem Journal "Orgonomic Functionalism" publiziert worden sind. Der Autor war zu Beginn und am Ende der achtziger Jahre zu in der Teilnamemöglichkeit auf Mediziner beschränkten Zusammenkünften mit Zugang zu diesen Tonbändern im Reich Museum; in einer kleinen Ärztegruppe wurden zusammen mit Mary Boyd Higgins und einem noch lebenden Teilnehmer dieser Supervisionstreffen Reichs, Dr. Chester M. Raphael, diese Materialien tagelang vorgespielt und durch Dr. Raphael präzisiert. 1993 wurden einige Audiobänder, ebenfalls durch einen Mitarbeiter Reichs, Dr. Myron Sharaf, in Berlin in kleinem Kreis vorgestellt und besprochen.

Ein zentrales Thema der Hinweise und Kommentare Reichs ist: " we go down, down down in therapy, the less the patient talks, the better " und : "we always move toward the simple, to the biological core of the organism". - Arbeit am biologischem Kern , an der lebendigen Plasmazuckung, dies bildet den Schwerpunkt der Behandlung und Therapie Reichs von 1948 bis zu seinem Tod im Jahre 1957.